- Anbindungsart als spieltchnische Voraussetzung - Feuillets Castagnetten-Notation -
1. Notationssymbole - Diesbezügliche Überlegungen für einen Rekonstrutionsversuch
Die große Ehre, am französischen Hofe Einzug halten zu dürfen, verdanken die Castagnetten ihren erfindungsreichen, immer nach Verbesserung forschenden Spielern, welche die ursprüngliche meeresmuschelförmige »Crusmata«, deren beide Instrumentenhälften mittels einer durch Ösen geführten Kordel verbunden waren, zu jener Castagnetten-Form, die heute gemeinhin als »spanische Kastagnette« bekannt ist, über drei Stufen hin entwickelten und deren äußere Form direkten Einfluss auf die spielpraktischen Möglichkeiten nimmt.
Die Handbefestigung geschieht:
1. an 4 Fingern (wie noch die heutigen riesigen »castanyolasses« von Ibiza, die ein sehr lautes »Klapp-Klapp« hören lassen),
2. am Mittelfinger; dafür formte man eine kleine Ausbuchtung am oberen Rand des Instruments (Fixierung per Gummiband, wie heute noch die so genannten Folklore-Kastagnetten mit ihrem rasselnden Klang), und
3. die Anbindung an den Daumen, die einher geht mit der Ausarbeitung der so genannten Castagnetten-"Ohren", in deren oberer Mulde der Daumen eingebettet ist, wodurch die übrigen 4 Finger frei separate Schläge vollziehen können (wie bei der heutigen differenzierten Technik der Konzert-Kastagnetten).
Unter dem gesichteten Bildmaterial finden sich zwar auch noch Ende des 17. Jahrhunderts immer wieder Anbindungen am Mittelfinger, Ringfinger oder Zeigefinger, (- oder sogar: rechts am Daumen und links am Mittelfinger )
Im Großen und Ganzen aber hat sich die Daumenanbindung und damit die differenzierte Spieltechnik wohl schon 1636 fest durchgesetzt, so dass Mersenne in seinem Traktat auch nur noch diese erwähnt:
"...les lier au poulce de la main droite, ou de la gauche..."(Mersenne)
Die m.W. erste Abbildung eines Tänzers mit Castagnetten-Daumen-Anbindung ist die eines Mannes (datiert zwischen 1600 und 1620 (?)). S. Abb.
(Vorbemerkung: Wenn wir im Folgenden von Feuillets Castagnetten-Notation sprechen, muss man wissen, dass die heutige Tanzwissenschaft Feuillets vorliegende TANZ-Notation übereinstimmend auf Pierre Beauchamps, Feuillets Lehrer und Hofchoreograf bei Louis XIV., zurückführt, der sie 1680 erfunden haben soll, aber einen 1704 geführten Urheberprozess verlor. Inwieweit nun letzterer demnach auch Urheber der CASTAGNETTEN-Notation war, ist m.W. leider nicht bekannt.)
Unter der Überschrift »De la batterie des Castagnettes « präsentiert Feuillet die
Castagnetten-Notation auf insgesamt 3 Seiten (S. 99-102) seiner "Chorégraphie ou l'art de decrire la dance par caractères et figures demonstratifs..."
1. Seite:
Notationssymbole - Vorstellung der in Form und Wertigkeit der Musik entlehnten und einzeiligen Castagnetten-Notation mit 2 unterschiedlichen Notationssymbolen auf 2
Ebenen und deren Kombination untereinander, 1 Schlüssel, 4 Taktarten und 6 Pausenzeichen
2. Seite: 2
"Exemples" (Beispiele), mit Melodie- und darunter notierter Castagnettenstimme
a) die ersten 8 Takte einer Chaconne (aus Chaconne de Phaeton)und
b) eines 20 taktigen Menuets - beide ohne Choreographie
3. Seite: Folie
d'Espagne: Melodie- und Castagnetten-Stimme sowie Schritt- und Arm-Notation
dazu seine Anmerkung:
"Couplet de Folie d'Espagne avec les bras et la batterie des Castagnettes
pour faire conoistre comme on doit pratiquer les regles precedente"
("Strophe der Folie d'Espagne mit den Armen und dem Schlagen der Castagnetten, um aufzuzeigen, wie man die folgenden Regeln praktiziert")
Verglichen mit heute gebräuchlichen Castagnettennotationen (z.B. von Emma Maleras oder Matteo s.u.) ist die von Feuillets von 1700 eine Kurzschrift, welche einzeilig auf 2 Ebenen und mit in Form und Wertigkeit der Standard-Musiknotation entlehnten wenigen Symbole auskommt:
Im Vergleich drei beliebig ausgewählte Erscheinungsbilder der Notationen von:
1) Feuillet (1700)
2) Emma Maleras (20. Jh), - die differentierteste, auch für Konzertkastagnetten und deren Niederschrift in Orchesterpartituren geeignete und in Europa führende Notation auf 2 Zeilen mit 3 Ebenen
3) Matteo (20. Jh.), eine grafische Kurzschrift mit 21 Symbolen, vorwiegend in den USA benutzt
1) Feuillet:
2) Maleras:
3) Matteo:
Feuillets Notation lässt die damalige Schlagtechnik auf den ersten Blick vielleicht als äußerst beschränkt erscheinen, offenbart aber bei näherer Beschäftigung mit den darauf folgenden drei ausgeführten Beispielen einer Chaconne, eines Menuetts (N.B.) und einer Folia, bei der die notierten Schritt- und Armführungen zusätzlichen Aufschluss geben (s.u.) , eine ungewöhnliche - und zugegeben: nicht unschwere - Spieltechnik, die sich von der heute verwendeten, auf der des 19. Jahrhunderts gründenden »klassischen Spielweise« in einigen wesentlichen Punkten unterscheidet:
Bei Feuillets Horizontallinie ist die linke Hand oberhalb, die rechte unterhalb notiert. Bei Maleras ist dies z.B. umgekehrt, da sie sich nach der Klanghöhe der Kastagnetten und der traditionellen Musiknotation richtet, die »oben« mit »hoch« und »unten« mit »tief« gleichsetzt.
Maleras Notation hat den eindeutigen Vorteil, - da besonders im Hinblick auf Konzert-Kastagnetten unter Verwendung der gebräuchlichen Musiknotation entwickelt -,
dass sie minutiös die schlagtechnischen Delikatessen virtuosen Spiels fixieren kann und ihre Einbindung in große Partituren von Symphonie-Orchestern keinerlei umdenken erfordert
- Sollte Feuillet links und rechts verwechselt haben (was bei ihm unwahrscheinlich wäre, da er als Tanzmeister ja Violine spielte)?
- Oder übertrug er eine Besonderheit der damaligen Tanzpraxis, bei der eine notierte Choreographie mit dem Buch in der Hand im wahrsten Sinne des Wortes „ablesend“
nachvollzogen wurde? Körperachse und Tanzweg wurden dabei durch eine Linie markiert, zu dessen linker Seite anatomisch korrekt linkes Bein und linker Arm, wie rechts davon rechtes Bein und
rechter Arm angezeigt wurden. Drehte man also das Buch um ein Viertel links herum, lag die Castagnetten-Notation spielbereit, linke und rechte Hand optisch auf der richtigen Seite der
Körperachse. (s. zur Veranschaulichung Photomontage links)
- Oder wurden die Castagnetten gegensätzlich zur heute gängigen Praxis angebracht, bei der die »hembra« (weibliche Kastagnette / »hoch«) rechts und der »macho« (männliche Kastagnette / »tief«) links gespielt wird.
Links / rechts links/rechts
Beine u. Arme Castagnetten
Überhaupt: Gab es eigentlich damals einen Klangunterschied zwischen den Castagnetten-Paaren? Mersenne sagt zumThema "Klang" nur so viel:
"Obwohl die Kastagnetten […] nur einen einzigen Ton haben, kann man nichtsdestotrotz Konzerte damit machen, wenn man unterschiedliche Größen nimmt, die die harmonische Proportion bewahren.[...]"
Mit der harmonischen Proportion meint er in etwa eine Terz, die heutzutage den üblichen Abstand zwischen der »hembra« und dem gleichgroßen »macho« darstellt! (Damals hätte der Tänzer also mit zwei unterschiedlich großen Kastagnetten tanzen müssen, um den heute üblichen Effekt zu erzielen, aber wenn man die zahlreichen Abbildungen der Zeit zu Rate zieht, kann man keinerlei Größenunterschied erkennen!) Die »Folklore-Castagnetten« (Anbindung am Mittelfinger) als »Vorfahren« liefern noch einen anderen Aspekt: Sie werden immer gemeinsam beidhändig gespielt, so dass das Thema Klangunterschied keine gewichtige Rolle spielt.
Für Feuillet war das offenbar selbstverständlich, da er es für keine Bemerkung wert erachtet;( für uns steht jedoch diesbezüglich eine eindeutige Antwort noch aus.)
Diesbezügl. Überlegungen für einen Rekonstruktionsversuch
Für einen Rekonstruktionsversuch muss man zudem Folgendes wissen:
1. heute sind ausschließlich Kastagnettenpaare mit Klangunterschied (von ca. einer Terz) erhältlich, gleichklingende müssten speziell angefertigt werden, aber:
2. da sie – jedenfalls im 17. Jahrhundert – handgefertigt sind, bleibt jedes Paar trotzdem individuell klingend
3. bei aus Holz gefertigten Castagnetten liegt eine mehr oder weniger variierende Dichte und damit Qualität in der Natur des Materials,
4. bereits wechselnde Anschlagarten, -dynamiken, und -punkte können den Klang verändern.
5. außerdem entwickeln die Castagnetten sich im Laufe ihres aktiven Instrumentendaseins:
La Meri schreibt, dass der Klang der Castagnetten
»reift und wächst […] mit zunehmendem Alter durch die Wärme und ölige Feuchtigkeit der Hand«, so dass sich »der Grundklang eines Castagnettenpaares von Spielerhand zu Spielerhand ändert und daher gesagt wird, dass sie [die Castagnetten] die Persönlichkeit des Künstlers annehmen« .