1) Wer spielte damals Castagnetten? - 2) Bei welchen Bühnenrollen erschienen sie? - 3) Von ihrem choreografischen Einsatz- 4) Vom Unterricht im Castagnettenspiel - 5) In welchen Tänzen und bei welchen damaligen Komponisten tauchen sie auf? - 6) Castagnetten als Unterrichtsinstrument des Tanzmeisters -
7) Von der Lust und Laune hin zum wohlregulierten Spiel
Dass Louis XIV natürlich auch die Castagnetten, wie den Tanz allgemein, als subtiles Werkzeug seiner psychologischen Strategie wirksam zu nutzen versteht, zeigt z.B. 1666 sein Auftritt als spanischer Tänzer, zur Zeit des schwelenden Frankreich-Spanien-Konflikts, in der Mascarade Espagnole vor dem als »Zeichen der Unterwerfung« nach Paris gesandten spanischen Botschafter Comte de La Fuentes. Von diesem stammt auch die Aussage,
der König sei »Experte in seiner Weise, Castagnetten zu schlagen« .
2. Professionelle Tänzer, die männliche Rollen verkörpern, z.B. Monsieur Ribero als Spanier (1653 im "Ballet de
la Nuit" ), oder J. B. Lully als Moor (1681 in "Le Triomphe de l'amour")
3. Tänzer "en travesti", die dem damaligen Usus entsprechend als Damen auftreten, z.B. als »Hofdame von Pélée« (aus Les Noces de Pélée de Thétis von 1654), oder als »Nymphe« (in Le Triomphe de l’amour 1681). Dabei darf man die obligatorische Maskierung nicht vergessen, die diese Travestien unterstützt.
4. Anfangs seltener sind es professionelle Tänzerinnen, z.B. Mlle Giraud als Proserpine (in L’impatience von 1661), oder »Mademoiselle du Fort dansant à l’Opéra«, die auf einem Stich von 1702 verewigt ist.
5. Adelige und Würdenträger (wie Kardinal Richelieu bei seiner "oben erwähnten legendären/legendenartigen Privatvorstellung von 1635); und sogar Mitglieder der Königlichen Familie, wie die Dame auf dem Stich der Maskerade »Noce de Village« (im Mercure galant 1638 veröffentlicht), oder Mlle de Nantes, die 7 jährige Tochter Louis XIV. (in Lullys Ballett "Le Triomphe de l’amour" von 1681), deren Auftritt ebenfalls vom »Mercure galant« überliefert ist. Aber auch bei Hoftänzen finden sie offenbar Einzug, wie C. Sachs beschreibt: »1663 werden die Brüsseler Hoftänze mit Gitarren und Kastagnetten begleitet.«
6. Schließlich sind es auch Tänzer-Darsteller der Pariser Jahrmarkt-Theater, wie z.B. ein Stich mit einer Szene aus Le Theatre de la Foire ou l’Opera comique von Le Sage und d’Orneval von 1722 bezeugt, auf dem eine junge Frau, umgeben von Akteuren in römischen Tuniken, die Castagnetten schlägt; oder wie eine Regieanweisung aus Les amours de Microton (1676), aufgeführt von der »Königlichen Truppe der Pygmäen«, bezeugt, in der es heißt:
»Zur gleichen Zeit sieht man eine Zigeunerin (Bohemienne), die in außergewöhnlicher Weise eine Sarabande mit Castagnetten tanzt«;
7. ferner nutzen auch Darsteller der Commedia dell’Arte die Castagnetten, wie der Scaramuccia auf einem Stich von N. Bonnart (1637 1718) belegt.
1. Zunächst natürlich sind sie ein Begleitunginstrument bei »Spaniern« (z.B. der oben genannte Sieur Ribera) oder der »Espagnol« aus Le ballet des Muses (1666) oder (auf dem italienischen Stich "Il Tabacco" [1650]) die zwei Langpfeife rauchenden spanischen Herren, welche folgenden Text flankieren: »Sarabande tanzend […] und […] mit viel Lebhaftigkeit die Castagnetten schlagend«;
oder auch eine Dame auf dem Stich "Espagnolette dansante" (undatiert) .
2. Immer wieder treffen wir auf Figuren aus der griechischen und römischen Mythologie, z.B. »Dryaden« und »Nymphen« (in "Le Triomphe de l’amour" 1681 und in "Les noces de Pélée et de Thétis" 1654), oder die römisch gewandete, mit geflügeltem Helm gekleidete Allegorie des Tanzes (in "Le Théatre et la Danse" et la Danse", 17. Jh.)
3. und auf götterähnliche Naturgewalten wie die Rolle des »Kalten Windes aus der Borée-Suite« in Le Triomphe de l’amour (1681).
4. Und natürlich: auf Zigeuner! Zum Beispiel die Abbildung einer Frau mit Stirnband in Lambranzis deutschem Nachdruck von 1716 mit dem Text: »Eine Zigeunerin tanzt mit Kastagnetten in der Hand«. Außerdem erscheinen Castagnetten spielende »Ägypter«, wie auf dem Stich einer »Ägypterin« »en travesti« zu sehen ist, die oftmals »als Wahrsager mit gestreifter Kleidung dargestellt« wurden. M. Fr. Christout schreibt außerdem, »man habe sie damals häufig mit den Böhmen (Bohemiens) und spanischen Zigeunern verwechselt« .
5. Und auch schon einmal auf einen tölpelhaften »Moskoviter«, um deren Unterweisung in der Courante(!) sich
zwei Tanzmeister leidlich bemühen (in "L’impatience" 1661), der seinen Tanz mit Castagnetten begleitet.
1. Im Solotanz, z.B. die Folie d’Espagne pour dame und Folies d’Espagnes pour homme von Feuillet. Ein Großteil der oben genannten Beispiele wurde solistisch auf der Theaterbühne getanzt. Da bestimmte Tänzer oft auf ganz bestimmte Tänze »abonniert« waren, könnte der Einsatz der Kastagnetten auch eine Rollen- und Besetzungsfrage gewesen sein.
2. In Paartanz: Die gleiche Folie-Solo-Choreografie ist z.B. auch in achsensymmetrischer Spiegelung für 2
Tanzende, natürlich ohne notierten Kastagnetten-Part, von L. G. Pécour überliefert. Waren auch die beiden Herren aus Il tabacco mit ihrer Sarabande ein Solo-Paar?
3. Auch gibt es Ensemble-Auftritte mit Aufgabenteilung wie die zwei "Damen" im knöchellangen Rock im sechsköpfigen Ensemble der »Esperlucattes« aus dem Ballet des Fées de la Foret de Saint-Germain (1625), die, zueinander tanzend mit Kastagnetten, ein Solo-Paar neben den vier Herren, offenbar ohne Castagnetten, bilden.
Neue Aspekte des damaligen Castagnetten-Einsatzes?
4. Es gibt auch kleine Gruppen, von denen drei Beispiele implizit Neue Aspekte des Castagnetten-Einsatzes liefern:
a) In der 1667 uraufgeführten Pastorale comique von Lully und Molière gibt uns das Livret folgende Besetzung für die 15. Szene an:
»Die Ägypterin, die tanzt und singt, ist: Noblet die Ältere; die 12 Tanzenden sind […],
4 spielen die Guitarre: M. de Lully, Beauchamps etc.
4 spielen Castagnetten: die Herren Favier, Bonard, Saint André und Arnald.«
Die Beschreibung erweckt den Eindruck, dass die Castagnetten, obwohl mit bekannten Tänzern besetzt, in dem erwähnten Moment offenbar und erstaunlicherweise konzertant gespielt wurden. (Dieser konzertant-begleitende Einsatz erinnert fast an heutige »Neo-Flamenco-Sessions«.)
b) Auf einer Abbildung zum Ballet de la Drouière de Billebahaut (1626) sehen wir »Vier Sarabande-Tänzer«, offensichtlich
zwei sich über Kreuz spiegelnde Diagonalpaare bildend, in den deklamatorischen Posen der so genannten »Barocken Gestensprache«, die eigentlich für Sänger und Schauspieler
reserviert gewesen sein sollte. (s.u. Franciscus Lang)
Franciscus Lang, "Dissertatio actione scenia" (Abhandlung über die Schauspielkunst), 1727:
"Als Schauspielkunst in meinem Sinne bezeichne ich die schickliche Biegsamkeit des ganzen Körpers und der Stimme, die geeignet ist, Affekte zu
erregen".
c) Über Mlle de Nantes‘ solistisch konzipierten Auftritt in der Generalprobe von „Triomphe de l’amour“ (s.o.) erfahren wir im Mercure galant, der neben Lobeshymnen über die Begabung der Siebenjährigen den folgenden, in Zitaten häufig verkürzt wiedergegebenen Text veröffentlicht:
„Als […] jemand zum König sagte, dass man die Castagnetten, welche die Prinzessin bewundernswert gut schlägt, nicht genug hören würde, antwortete der König, dass jene, die sich am Ende der Entrée mit ihr vereinigen sollten, sie [die Castagnetten] ebenfalls schlagen sollten.“
– Eine solch lapidare Anweisung setzt nicht nur offenkundig voraus, dass diese Instrumente wohl bereits auf der Bühne ( oder auch in den Garderoben der Tänzer) bereit waren, sondern es scheint auch ein Einsatz gewesen zu sein, der entweder so simpel, so geläufig oder bei dem die Tänzer so versiert waren, ihn ad hoc umzusetzen.
Es darf nicht vergessen werden, dass wir uns in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts noch im Zeitalter der Zünfte befinden und erst die Akademien-Gründungen Louis XIV. einen Bruch der traditionellen wohl gehüteten Vermittlung vom Vater auf den Sohn, vom Meister auf den Lehrling bedeutete. Selbst eine in ihrer »Lapidarheit« ans Komische grenzende Anweisung, die der Spanier José Otero Aranda in Tratado de Bailes Espanoles noch im Jahre 1912 (!) über das Kastagnetten-Spiel gab, als er bemerkte:
»Das Wichtigste ist, nach Gehör zu spielen; dabei ist es gleichgültig, ob man mehr Golpes (Schläge) oder Carretillas spielt, Hauptsache, man hält den Takt ein«, muss nicht zwangsläufig heißen, dass regellos herumgeklappert werden durfte. Es bedeutet ein »learning by doing«. Und für einen Namensvetter, die »schwyzer Kastagnette«, deutsch auch Schlefele genannt, die Mersenne in seiner Castagnetten-Abhandlung als »Knöchelchen und kleine Holzstäbchen« mit ebenfalls ähnlich virtuoser Spieltechnik beschreibt, gilt diese »undidaktische« Lehrmethode »Einfach gucken, hören und ausprobieren« auch noch im 21. Jahrhundert .
5) In welchen Tänzen und bei welchen damaligen Komponisten tauchen Castagnetten auf?
Zeitgenössische Berichte belegen, daß sie besonders in Tänzen wie Sarabande, Chaconne und Folia, aber auch in Canarie (Jacques Gallot (1600 1690) schrieb gar eine Canarie le Castagnettes) und Menuet genutzt wurden, sowie offenbar auch Bourrée, Gavotte, Gigue, Marche etc. - wie Feuillet impliziert ( s.u.)!
Er impliziert, aber leider findet sich m.W. nicht eine einzige überlieferte Castagnettenstimme in den Partituren jener Zeit, auch nicht nach dem Erscheinen der Feuillet-Notation Anfang 18. Jahrhundert.
Das mag folgenden Gtrund haben:
Bezüglich der Notation bekannte Mersenne bereits 1636 nicht nur seine verbalen Grenzen,:
dass nämlich die Castagnetten,
»Knöchelchen und Holzstäbe […] so fingerfertig und so schnell« gehandhabt werden »und mit so wohl geordneten Cadenzen, dass es fast unmöglich ist, sie zu erklären«, sondern er umgeht auch das Notationsproblem geschickt mit der abschließenden Feststellung, dass »man sie nicht so gut in Figuren ausdrücken« könne, »um die Spieltechnik und die Mouvements daraus zu verstehen« .
Wenn man sich vergegenwärtigt, dass die Castagnette »eines der meist gebrauchten echten Volksinstrumente« darstellt, deren spielerische Überlieferung zumeist mündlich und in direktem Kontakt vom Meister auf den Scholaren vonstatten ging (so werden die Rhythmen der »Schwyzer Kastagnetten« und »Schlefele« immer noch durch Reimgedichte und die der spanischen z.T. noch mit Silben wie »Rià rià pi tà« oder »Ca rre-ti-lla-tan-Ca-rre-ti-lla-tan-tin tan« weitergegeben) und Mersenne Kompositionen für das Instrument ausdrücklich in die Hände der Ballettmeister (!) legt, so darf man regelrecht dankbar sein, wenn einige Komponisten in ihren Partituren immerhin ausdrücklich Castagnetten vor-, wenn auch nicht in Noten gesetzt aus-schreiben:
Z.B.
- Nicolaus Adam Strungk verwendet 1680 in seiner Hamburger Oper Esther »Castaignettes und Cimbeln«;
- Alessandro Scarlatti wünscht in seiner Oper Marco Attilo Regolo (1719) bei einem Ballett der Karthager »nach Art der barbarischen Nationen […] viel Lärm von Sackpfeifen, Kastagnetten und Klappern« ;und
- Luigi Boccherini (1743 1805) weist im Fandango seines Gitarrenquintetts Nr. 4 sogar den Cellisten an, gegen Schluss von seinem Instrument auf Castagnetten zu wechseln.
Wie kaum ein anderes Instrument eignen sich die Castagnetten für den Unterricht des Historischen Tanzes, der außer freier Beinarbeit und freier Stimme (zum Singen oder für verbale Anweisungen) eigentlich auch die Bewegungsfreiheit der Arme, dem von den Tanzmeistern viel gepriesenen Schmuck und Ornament dieses Tanzstils, erfordert.
Ein besonderes und seltenes Dokument aus dem Jahr 1725 ist dieser Stich Der Tanzmeister, der einen »Maitre de Danse« mit einem Tüchlein in der rechten und einer Castagnette in der linken Hand abbildet.
Und doch ist die Pochette, die so genannte »Tanzmeistergeige«, das Attribut des »Maitre de Danse« schlechthin geworden...
Umso wichtiger ist für unser Thema die folgende Überlieferung zu bewerten:
Im schweizerischen Genf wird den kleinen »primitiven Volksklappern« unvermutet die ehrenvolle Aufgabe des »Retters der höfischen Etikette« zuteil, wie Voltaire in seinem Dictionnaire philosophique zu berichten weiß:
"Die Jansenisten, die 150 Jahre die Stadt »Genf […] beherrschten und keine Violine zuließen, untersagten einer Prinzessin von Conti, die sie beherrschten, ihrem Sohn das Tanzen beibringen zu lassen, weil der Tanz zu profan sei. Dennoch musste man Grazie besitzen und das Menuett können; man wollte keinesfalls eine Geige dulden, und der Direktor hatte viel Mühe, nach Übereinkommen zu gestatten, dass man den Prinzen von Conti das Tanzen lehrte mit Castagnetten". (Übersetzung: Ejl.P.).
Es ist wohl mehr als nur berechtigt anzunehmen, dass das »de Caprice« (Fantasieren/ Improvisieren), welches bei allen Instrumentalisten und Tänzern des 17./18. Jahrhunderts unerlässlich war, auch und gerade bei Castagnettenspielern einen Prüfstein für Virtuosität darstellte. Doch hat Mersenne wohl zudem eine regelrechte (fixierte oder auch nur abgesprochene) Komposition im Sinn gehabt, wenn er von der Möglichkeit spricht, »Concerte« mit Castagnetten zu geben,
»was sehr angenehm ist, wo vier oder fünf Personen die vier oder fünf Stimmen der Musik spielen, deren Komposition ich den Ballettmeistern überlasse, welche die Proportionen kennen, welche sie zwischen diesen Instrumenten einhalten müssen«.
Und J.G. Walther (Musikalisches Lexikon, 1732) präzisiert den Begriff »Concert« mit den Worten:
»Sachen, die also gesetzet sind, dass eine jede Partie sich zu gewisser Zeit hervor thut, auch mit anderen gleich um die Wette spielet.«
Fortsetzung: "Castagnetten in Feuillets 'Chorégraphie' "