Die Geschichte der Castagnetten

Die antike Mythologie - Vom Ursprung der Castagnetten - Die griechische Antike - Die Zeit der Kopten - Die römische Antike - "Baile" und "Danza" in Spanien - Sarabande und Chaconne - Folia - "Los Seises" in Sevilla -

Die antike Mythologie

Pierre de Ronsard (1524-1585)
Pierre de Ronsard (1524-1585)

   Für die Wiederbelebung der »Barock-Castagnetten« sollte man sich zunächst die Geisteswelt des 17. Jahrhunderts vergegenwärtigen, deren Interesse an der griechisch-römischen Antike durch die Renaissance und die Dichter der Pléiade des 16. Jahrhunderts in einem solchen Maße geweckt worden war, dass die antike Mythologie als ein wesentlicher Teil der höheren Ausbildung gelehrt wurde. Jede der diversen Künste wurde nun von ihr inspiriert, und gesellschaftlich war es z.B. eine »regelrechte Notwendigkeit, sich in den ›Fables‹ auszukennen« , damit jede Anspielung darauf sofort verstanden wurde. (N.B.: Wir befinden uns in der Zeit der beliebten Allegorien, Rätsel und Anamorphosen.)

Vom Ursprung der Castagnetten

   Kastagnetten gehören zur Familie der Idiophone (griech. »idios« = selbst; »phone« = Stimme), die weltweit auf allen Kontinenten und in allen Kulturen als Zeugen frühester Musikinstrumente zu finden sind. Eine japanische Legende überliefert, bei der Erfindung der Musik hätten die Götter selbst den Takt auf ihnen, auf »der Mutter aller Instrumente«, geschlagen. Der Hinweis auf den Ursprung aus dem Körper findet sich z.B. in einhändig gegeneinander geschlagenen Elfenbeinklappern aus Ägypten (2800 v.Chr.), die tatsächlich Unterarme mit Händen darstellen – die Klapper als Verlängerung der Hände.

 

 

Die griechische Antike

Während aus Ägypten eine Vielfalt von in Größe und Form verschiedenen Klappertypen bekannt ist, findet sich in der griechischen Antike vorwiegend ein Klapperinstrument, welches wie echte Castagnetten in seiner Zweiteiligkeit »paarig beidhändig« gespielt wird und dessen Hälften mehr oder weniger ausgehöhlt sind: die Krotala, hergestellt aus gespaltenem Rohr, Ton oder Erz. Schon ihr Name (griech. »krotos« = Puls, Lärm) verdeutlicht ihren rhythmisch/tanzspezifischen Einsatz, begleitet von einer Aulos-Bläserin, zwecks Taktmarkierung (Puls) z.B. bei Festen zu Ehren des Dionysos, der Satyrn und Mänaden, wie viele Tanzdarstellungen auf alten Vasen belegen. Von ihrer mythologisch/religiösen Verwendung sprechen immer wieder auch Dichter wie Homer, Sappho, Euripides und Pindar in ihren Werken. So konnte Herakles durch die ihm von Athene geschenkten bronzenen Krotala eine der zwölf ihm gestellten Aufgaben lösen. Nach Herodot wurden Krotala von Frauen bevorzugt. In seiner Politeia spricht Aristoteles davon, dass der Mathematiker und Philosoph Arquitas de Taranto die Castagnetten erfunden habe für den Unterricht mit seinen Schülern.

 

Scabellum
Scabellum

Einige der antiken griechischen Dichter sollen sich, wie Thespis, auch als Tanzmeister betätigt haben, was eine Logik in sich birgt, da sie doch mit so genannten »Versfüßen« umgehen. Aus ihrer Epoche datiert tatsächlich auch eine Art »Fußkastagnette« (griech. »kroupala«, röm. »scabellum«), mit der es möglich war, bei einer Gedichtrezitation mit dem Fuß den Rhythmus zu markieren, ohne auf die Expressivität der freien Armgesten verzichten zu müssen.

Die Zeit der Kopten

Im frühchristlichen Ägypten bildet sich bei den Kopten der Typ der dickbauchigen Gefäßklapper aus. Vermutungen besagen, diese Form habe zur spanischen Bezeichnung »castanuela« (Diminuitiv von span. »castana« = Kastanie) geführt.

(Auch aufgrund dieser Variante aus Ägypten scheint die von den Franzosen später begangene »häufige Verwechslung« zwischen Castagnetten spielenden Ägyptern und Zigeunern (»gypsy«/»gitano« = ägyptisch) in Balletten des 17./18. Jahrhunderts durchaus verständlich).

 

Die römische Antike

Moriskentänzer
Moriskentänzer

Für das 16. Jahrhundert ist es meines Wissens allein – und vielleicht folgerichtig – der Franzose Thoinot Arbeau, der in seiner maßgebenden Orchésographie von 1588 Kastagnetten im Kapitel über Moriskentänze erwähnt, als er diese in seiner Jugend getanzt sah von geschwärzten Jungen. Bei dieser Gelegenheit zitiert er Macrobe im dritten Buch seiner Saturnalien (nach Horus), in dem es heißt, dass »die adligen Kinder und jungen Mädchen aus den guten Häusern Roms mit Crotales tanzten«.

Vom gleichen Dichter stammt die Beschreibung der wollüstig tanzenden syrischen »Schankwirtin, den Kopf mit einem griechischen Seidentuch geschmückt, die den Leib vibrierend zum Klang der Krotala zu bewegen weiß«. Auch Petronius, Juvenal, Cicero und Kaiser Trajan berichten vom Klang der Krotala. Die »Krotala-Manie« muss so weit gegangen sein, dass modebewusste Römerinnen und Pompejanerinnen Kastagnetten-ähnliche klappernde Gehänge an ihren Ohrringen anbrachten. Von Martial (Rom, 1. Jh. nach Chr.) und seinem spanischen Zeitgenossen Isidore von Sevilla hören wir erstmals auch von den spanischen »Crusmata« (»crus« = Schenkelknochen) und von den sie spielenden feurigen Frauen von Cadiz, »die bewandert darin« waren, »zum Klang der spanischen Crusmata wollüstige Gebärden zu vollführen und mit Melodien aus Cadiz zu begleiten« . Auch Querol schreibt, dass »kein bedeutendes Fest oder Gastmahl […] im Römischen Reich ohne die Mitwirkung dieser Tänzerinnen gefeiert« wurde . Die Castagnette war vom Kult- zum Unterhaltungsinstrument mutiert.

"Baile" und "Danza" in Spanien

"Zigeunerin aus Granada" v. G. Doré
"Zigeunerin aus Granada" v. G. Doré

Das spanische Cadiz, damalige Hochburg des Kastagnettentanzes, war von den Phöniziern gegründet worden. Diese gehörten damals zu Syrien, welches wiederum von den Arabern/Mauren eingenommen wurde, bevor diese 711 Spanien eroberten. Als 1492 die Christen die Herrschaft übernahmen, erfreuten sich arabische Tänzerinnen trotzdem weiterhin großer Beliebtheit beim christlichen Adel. In Vermischung mit dem Brauchtum unterschiedlicher Regionen Spaniens (in der jede einzelne auch heute noch einen speziellen Namen für ihre Kastagnetten hat ), dem Nachlass der maurischen Hochkultur, der Zuwanderung von Zigeunern/Bohemiens/Böhmen nach Andalusien (die Franzosen hatten sie "Böhmen" genannt, weil sie bei ihrer Ankunft in Frankreich einen Schutzbrief des böhmischen Kaisers Sigismund vorwiesen) und schließlich dem kulturellen »Beutegut« aus der »Neuen Welt«, besonders Mexiko, entwickelte sich eine widersprüchliche soziale Tanzkultur, bei welcher der ursprüngliche Tanz des Volkes, der »Baile«, der teils in seinem extremen »Happening«-Charakter an die deutschen Veitstanz- oder italienischen Tarantismus-Epidemien erinnert, – zu »Danza« domestiziert wurden. Es entstand jener hoffähige, geregelte Tanz, der unter Philip II. einer strengen, beinahe religiösen Etikette unterlag.

 

Sarabande und Chaconne

Lope de Vega
Lope de Vega

Die ursprünglich auch gesungenen, mit Castagnetten begleiteten tripeltaktigen »Bailes« Zarabanda, Chacona und Folia, die öfter gemeinsam in literarischen Werken jener Zeit erscheinen, charakterisiert Lope de Vega 1621 in La Villana de Getafe mit den Worten:

 

»Folias« – »Comune son«, …

»Zarabanda« – »Esta muy vieja«,

»Chacona« – »Satira es«.

 

Thomas Platter
Thomas Platter

Der Schweizer Arzt Thomes Platter berichtet 1599 von »50 Männern und Frauen, Castagnetten schnalzend, […] mit lächerlichen Verrenkungen des Leibes […]«. Pater Juan de Mariana (1536 1624) bekämpfte die Zarabanda als Seuche, die »schlimmer als die Pest« sei. Philipp II. musste sie mehrfach wegen ihrer Schamlosigkeit und unter Androhung von Peitschenhieben, Galeerenstrafen und Ausweisung verbieten. Dieses Schicksal erleidet sie ein weiteres Mal im Jahre 1615 gemeinsam mit der »Chacona«, deren Ursprung in spanischen literarischen Quellen auf den westindischen Inseln angesiedelt wird. Ihre Gesangstexte sind provokativ, ironisch oder auch komisch, und Sebastian de Coravarruvias Orozco konstatiert in seinem Wörterbuch (1611), sie habe die »Zarabanda nun an Beliebtheit übertroffen«.

Die feindliche Haltung von Seiten der mächtigen Kirche mag der Grund sein, weshalb merkwürdigerweise keine der beiden wichtigsten frühen spanischen Tanzquellen, nämlich weder die von Quintana el Viejo (1530) noch die des Tanzmeisters Philipps IV., Esquivel Navarro (1642), die Castagnetten erwähnt, obwohl sie, wie durch spanische Dichter verbrieft, auch in von der Kirche in Auftrag gegebenen und Tänze beinhaltenden Werken präsent waren.

 

 

Folia

"Espagnolette"
"Espagnolette"

Natürlich macht noch ein anderer Tanz in Spanien Furore, mit dem heute die Castagnetten assoziiert werden wie mit kaum einem anderen: die Folia. Ursprünglich ein portugiesischer Karnevalstanz, erklärt Sebastian Covarrubias Horozco (1611) ihren Namen mit »Wahnsinn«, »Hirnlosigkeit«, »Hohlköpfigkeit« und beschreibt ihn als unglaublich lärmenden Tanz mit »sonajas« (Holzring mit Metallscheiben) und anderen Instrumenten, bei dem junge Männer, als Mädchen verkleidet, ihresgleichen auf den Schultern tragen. Die musikalische »Kultivierung« der Folia geht ihren Weg als so genannte »frühe Folia« mit der spanischen Gitarre über Italien (wo die Castagnetten bereits eine charakteristische Begleitung der Tarantella geworden sind), und von dort besonders mit dem Gitarristen Francesco Corbetta nach Frankreich, wo sie als Folie d’Espagne mit Variationen berühmt wird, deren zeitloses Thema seitdem und bis heute immer wieder Eingang in Kompositionen findet. Wegbereiter für diese so genannte »späte Folia« ist damals niemand anderes als des Königs »Maitre de Musique«, J. B. Lully, mit seiner "Air des hautbois Les folies" von 1672. Ihm folgen Michel Farinel mit Farinell’s Ground (1685) und natürlich Arcangelo Corelli mit seiner berühmten Sonate a violino e cimbalo op. 5 (1700) – um nur einige damalige Komponisten zu nennen.

"Los Seises" in Sevilla

Los Seises Postkarte aus Sevilla von 1885
Los Seises Postkarte aus Sevilla von 1885

 Von just jener strengen katholischen Kirche, die dem Volk die Castagnettentänze verboten hatte, kommen 1667 die nächsten erstaunlichen Neuigkeiten über das Instrument: Nach einem liturgischen Brauch, der bis 1439 zurückdatiert werden kann, tritt eine Gruppe von Knaben, »Los Seises« genannt, an hohen kirchlichen Feiertagen vor dem vor Beutegold strotzenden Hochaltar der Kathedrale in Sevilla auf, singend, tanzend und – wie ein Dokument von 1667 belegt – Castagnetten aus Elfenbein schlagend. (Es ist ja nicht das erste Mal, dass die Kirche Volksbräuche [hier die Castagnetten] »integriert«, um ihre eigene Akzeptanz bei den Untertanen zu verbessern.) Sie tanzen Symbolfiguren wie »M« für Maria, das doppelte »S« für das Heilige Sakrament etc. Es gibt aber auch einen sehr lebhaften, der »teuflischen Sarabande« sehr ähnlichen Castagnetten-Tanz, und dieser lässt die alte Fehde wieder aufleben, als Don Jaime Palafox y Cardona Erzbischof von Sevilla wird: 1685 verbietet er speziell diesen Tanz. Rom wird daraufhin als Schiedsrichter angerufen, woraufhin das Verbot aufgehoben wird – solange die Kostüme vollständig erhalten bleiben. (- Wenn man auf die Einhaltung dieser Auflage inklusive der verantwortlich-getreuen Überlieferung der Tänze vertrauen könnte, wären »Los Seises« in Sevilla demnach die authentischen Zeugen der dortigen Castagnetten-Praxis im 17. Jahrhundert, denn tatsächlich werden ihre Tänze noch heute aufgeführt!)

 

 Fortsetzung: "Neue Blütezeit im 17./18. Jahrhundert"