Eine neue Blütezeit der Castagnetten:

-Spanische Castagnetten im Frankreich des 17./18. Jhs. - Die wichtigsten Quellen: Marin Mersenne und Raoul-Auger Feuillet -

Spanische Castagnetten im Frankreich des 17./18. Jahrhunderts

Anna von Österreich
Anna von Österreich

Während in Deutschland die Tod ankündenden Tremolowirbel der Landsknechtstrommeln über die Schlachtfelder des Dreißigjährigen Krieges wie Donner rollen und das Volk in Angst und Schrecken versetzen, ist in Frankreich - so berichtet eine Überlieferung -  Kardinal Richelieu gerade bemüht, in einer Solovorstellung mit französischer Raffinesse auf äußerst subtile Art eine ganz andere »Bastion« einzunehmen: »Bewaffnet« mit Schellen am Kostüm und Castagnetten an den Händen soll er die Folie d’Espagne vor Anna von Österreich, Tochter Philipps III. von Spanien, getanzt haben - in der Hoffnung, dass seine Tremoli im Gegenüber eine Gänsehaut erzeugen mögen, wenn er mit  seinen Fingern rollend die kleinen Hölzchen zum Schnurren bringend, das Ohrwasser unter Nutzung der Schallwellen erzittern lässt und damit den gesamten Körper in einen sinnlich-erotischen Spannungszustand versetzt: Immerhin litt die Königin unter großem Heimweh und war zudem dem Erwartungsdruck ausgesetzt, einen Thronerben zur Welt zu bringen...

 

Kardinal Richelieu
Kardinal Richelieu

 

Es ist ein im Menschen , aber auch Tierreich altbewährtes Mittel: Klappern zur Erregung von Aufmerksamkeit, bei der Werbung (Storch), zu Warnung und »akustischer Hypnose« (Klapperschlange), als Warnung vor den Aussätzigen im Mittelalter, als Almosenklapper, im Karneval zur Verscheuchung des Winters und der bösen Geister, in Klöstern als Wecker, an Höfen als Narrenklapper etc. etc.

 

Und nun finden sich die Klappern also auch in den Händen der französischen Noblen, durch welche sie  im akademischen Tanz Fuß fassen und zum Handwerk des Tänzers gehören werden – wie noch zu zeigen sein wird (s.u.).

 

 

Die wichtigsten Quellen:

Marin Mersenne und Raoul-Auger Feuillet

M. Mersenne
M. Mersenne

Wieweit Verbreitung und Spieltechnik der Castagnetten schon fortgeschritten ist, belegt ein Musiktraktat, das unter der Regentschaft von Louis XIII., dem Gemahl Annas von Österreich, publiziert wird und welches (abgesehen von der kleinen oben genannten Notiz Arbeaus 1588 und einer Bemerkung bei M. Praetorius 1614/15 ) überhaupt die erste bekannte längere Abhandlung (und deshalb auch unsere erste wesentliche Quelle) über Castagnetten darstellt: Marin Mersennes Harmonie Universelle (1636), in dessen Kap. XXIV »Von den Perkussionsinstrumenten« er zwei informative Seiten lang »von Material, Form, Klang und Gebrauch der Castagnetten« fast ausschließlich verbal berichtet und nur eine detaillierte Abbildung ihrer Form beifügt.

 

Feuillet: Chorégraphie ou l'Art de décrire la dance..."
Feuillet: Chorégraphie ou l'Art de décrire la dance..."

Erst 64 Jahre nach Mersenne wird die zweite wichtige Quelle - wieder in Frankreich! - diesmal unter Louis XIV., der die spanische Infantin Maria-Theresia geheiratet hat, veröffentlicht: Raoul-Auger Feuillets "Chorégraphie ou l'art de décrire la danse..."  (1700),  d a s  Schlüsselwerk des »Barocken Tanzes«.

 

Ganz im Gegensatz zu Mersenne erfahren wir hier fast nonverbal, nämlich – gemäß dem Schwerpunkt des Buches – anhand von Notationsbeispielen von der damaligen Spielpraxis.

 

Und diese Notationsbeispiele werfen nun ihrerseits neue Fragen auf, welche auch von den mannigfaltigen internationalen Übersetzungen und oftmals besonders wortreichen Erläuterungen, die Feuillets Werk "Chorégraphie" in den darauf folgenden Jahrzehnten erfährt, nicht beantwortet werden.

 

Obwohl, oder besser: weil jene entweder die besagten drei Seiten fast minutiös kopieren.

G. Taubert, Rechtschaffener Tanzmeister, 1717
G. Taubert, Rechtschaffener Tanzmeister, 1717

Dazu zählen zum Beispiel der Deutsche Gottfried Taubert, Rechtschaffener Tanzmeister, 1717

 

Pablo Minguet E Yrol, Arte de Danzar a la Francesca, 1758
Pablo Minguet E Yrol, Arte de Danzar a la Francesca, 1758

und der Spanier Spanier Pablo Minguet E Yrol (Arte de Danzar a la Francesca, 1758),

 

der die französische Castagnettennotation interessanterweise sogar ausdrücklich »auch für italienische und spanische Tänze« empfiehlt: 

 

 

 

 

 

 

 

Gänzlich unterschlagen werden die Castagnetten hingegen in den Übersetzungen z.B. von John Weaver (1706), Magny (1765), Rameau (1723) und Malpied (ca. 1785).

 

 

Zwischen diesen beiden so unterschiedlichen Quellen:

–  Mersennes Musiktraktat ohne Noten entstand am Vorabend der Akademisierung und Professionalisierung des Tanzes,

-   Feuillets Tanz-Handbuch dagegen zur (will man dem Untertitel glauben) »einfachen Selbstanleitung«, war aber wohl auch als Manifestation, Dokumentation und Vermächtnis einer kulturellen Blütezeit gedacht,

liegt mehr als ein halbes Jahrhundert ...

 

und nichts als: P r a x i s !

 

Praxis – bei der das Klappern der Castagnetten zum Handwerk (wenn vielleicht nicht aller, so doch vieler Tänzer) gehört -   wie prächtige Kostümskizzen, veröffentlichte Drucke und diverse Erwähnungen bezeugen. Diese Zeugnisse sollen zunächst, die Vorstellungskraft ein wenig anregend, betrachtet werden, bevor wir uns einer Analyse der damaligen Spieltechnik zuwenden.